Ihagee Kamerawerk Steenbergen & Co., Ihagee Kamerawerk AG
Im Jahr 1912 gründete der Niederländer Johan Steenbergen in Dresden die Industrie- und Handelsgesellschaft mbH. Die Firma produzierte fotografische Apparate und Bedarfsartikel. Die Umbenennung in Ihagee Kamerawerk GmbH erfolgte 1913 und nach dem Zusammenschluss mit der Firma des Kameratischlers Emil Englisch im Jahr 1918 hieß das Werk Ihagee Kamerawerk Steenbergen & Co. Die Gesellschafter waren Johan Steenbergen, Emil Englisch, Hugo Frauenstein, Otto Diebel, Emil Kirsch, Konrad Koch und Hermann Schubert. Das neue Betriebsgebäude in Dresden-Striesen wird ab 1923 genutzt. Im gleichen Jahr beginnt Karl Nüchterlein seine Tätigkeit als Mechaniker im Betrieb. Zur Beschlagnahme des niederländischen Betriebskapitals kam es 1941 und am 1. Januar 1942 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der Firmengründer Johan Steenbergen emigrierte mit seiner jüdischen Frau am 15. Mai 1942 in die USA. Bei den Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 wurde das Werk völlig zerstört.
Kameras wie die Photorex (1912), die Reisekamera Corona (1918), die Spiegelreflexkamera Plan Paff-Reflex (1921), die klappbare Spiegelreflexkamera Patent-Klapp-Reflex (1924), die Tropen-Photoklapp ”Neugold” (1927), die Planfilm-Laufbodenkamera Patent Duplex (1928), die Spiegelreflexkameras Serien-Reflex (1928) und Nachtreflex (1929) und die Rollfilm-Klappkamera Auto-Ultix (1930) entstammen diesem Unternehmen. Bereits 1933 erschien im Ihagee-Kamerawerk die erste Exakta für Rollfilm 127 im Format 4 x 6,5 cm. Der Siegeszug der Kleinbild- Spiegelreflexkameras begann im März 1936 in Dresden mit der Kine-Exakta, einer Kamera mit Wechselobjektiven und fest eingebautem Lichtschacht, konstruiert für Kinefilm 24x36 mm unter der Verantwortung von Karl Nüchterlein. Der Tuchschlitzverschluss ermöglichte Zeiten von 12 Sekunden bis zur 1/1000 Sekunde. Eine integrierte Filmabschneidevorrichtung erlaubte bereits den Wechsel teilbelichteter Filme. Es standen Wechselobjektive von 38 bis 500 mm Brennweite zur Verfügung. Eine Vakublitzeinrichtung konnte bei Bedarf angeschlossen werden. Im Jahr 1937 begann die Entwicklung der Exakta 6x6. Die ersten Kameras wurden 1939 angeboten. Auf Grund des komplizierten Filmtransportes bei Rollfilmen im Vergleich zum perforierten Kleinbildfilm kam es jedoch zu erheblichen Funktionsproblemen und damit zur Produktionseinstellung Ende 1939.
Nach dem Krieg wurde am neuen Standort des Betriebes, im ehemaligen Delta-Werk der Zeiss Ikon AG, auf der Blasewitzer Straße die Produktion der Kine-Exakta wieder aufgenommen. Die Kameras wurden anfangs hauptsächlich als Reparationsleistung in die Sowjetunion geliefert. Der Betrieb wurde 1946 als niederländisches Eigentum nicht enteignet. Ab 1951 erfolgte die Verwaltung durch die VVB Optik, daher Ihagee Kamerawerk AG i. V.. Durch die Gründung der Ihagee Kamerawerk Frankfurt/Main im Jahre 1960 kam es in der Folgezeit zu zahlreichen Prozessen um Namensrechte, die schließlich dazu führten, dass bestimmte Exportkameras andere Namen erhalten mussten. Die Erfolge der Kine-Exakta setzten sich mit den Folgemodellen Exakta II, Exakta Varex , Exakta Varex VX, Exakta Varex IIa und IIb, Exakta VX 1000/VX 500 fort. Auch die einfachere Exa (ab 1950) war eine beliebte Spiegelreflexkamera und wurde in mehreren Varianten gebaut. Nur die Mittelformatkameras konnten die Erfolge der Kleinbildmodelle nicht erreichen. Die überarbeitete Exakta 6x6 wurde 1951 vorgestellt, durch Funktionsstörungen, ähnlich denen des Vorkriegsmodells konnte die Produktion nicht aufgenommen werden. Eine völlige Neukonstruktion war die auf der Leipziger Herbstmesse 1952 erstmals gezeigte und ab 1953 produzierte „vertikale“ Exakta 6x6. Die hochwertig ausgestattete Kamera sollte dem Ihagee-Kamerawerk den Erfolg im 6x6-Format bringen. Zur Produktionseinstellung für eine der schönsten und ungewöhnlichsten Exaktas kam es 1954 nach etwa 2500 ausgelieferten 6x6-Kameras durch neuerliche Probleme beim Filmtransport.
Die Entwicklungsabteilung war bereits seit 1964 Pentacon unterstellt. Am 2. Januar 1968 wurde die Ihagee Kamerawerk AG i. V. ein Bestandteil des neu gegründeten Kombinat VEB Pentacon, damit wurden Verkauf, Werbung und Kundendienst vom Zentralvertrieb des Kombinates durchgeführt. Ab dem 2. Januar 1970 war die bisherige Ihagee das „Objekt 18“ des Kombinates VEB Pentacon. Eine eigenständige Fertigungsstätte „Ihagee Kamerawerk AG i. V.“ existierte nicht mehr.
Von 1969 bis 1973 wurde von Pentacon noch eine modifizierte Praktica L als Exakta RTL 1000 vertrieben (etwa 85.000 Stück). Durch das völlig andere Gehäuse erinnerte bei dieser Kamera nur noch der Bajonettanschluss und der zusätzliche linksseitige Auslöser an die Vorgänger-Exaktas. Später wurde aus dieser Kamera die Praktica VLC (1974) mit Innenmessung und elektrischer Blendenwertübertragung entwickelt. Die Exa-Produktion wurde bis 1987 unter der Regie von Pentacon weitergeführt.
Die Ursachen für den Niedergang der Ihagee sind vielgestaltig. Es ist viel zu einfach, wie häufig zu lesen, die Gründe lediglich dem DDR-Staat anzulasten.
Fehlende Innovationsfreude: Wenn man beispielsweise die Exakta Varex VX von 1951 mit der Exakta VX 1000 von 1967 vergleicht, haben in etwa 15 Jahren nur kosmetische und kleinere technische Änderungen in der Kamera Einzug gehalten. Es existieren jedoch Unterlagen, in denen Ihagee-Mitarbeiter Neuerervorschläge vorlegten, z. B. zur Einführung einer TTL-Innenmessung in der Exakta vom 02.07.1959. Die eigene Betriebsleitung lehnte aber derartige Änderungen ab. Eine der Stärken der Ihagee bestand darin, dass Konstruktion und Änderung eines Modells/Zubehörteils immer von Konstrukteur und Techniker Hand in Hand umgesetzt wurden. Erfahrungen aus Fertigung aber auch aus Vertrieb und Kundendienst flossen direkt in den Konstruktions- und späteren Produktionsprozess ein. Wenn dieses einzigartige Potential einer Firma nicht mehr ausgenutzt wird, sind bestimmte Negativentwicklungen unausweichlich.
Innovationen der Konkurrenzbetriebe: während in den 1950-er Jahren die Exaktas auf dem Weltmarkt noch einen absoluten Spitzenplatz einnahmen, konnte im Bereich der 1960-er Jahre gerade Pentacon mit zahlreichen neuen Ideen aufwarten: Praktica mat, Praktica super TL mit TTL-Innenlichtmessung, Praktica electronic mit elektrisch gesteuerten Belichtungszeiten von 30s - 1/500s, Praktica LLC - weltweit erste Kleinbild-SLR mit elektrischer Übertragung des Blendenwertes, Systemkamera Pentacon Super. Dem hatten die Ihagee-Kameras bereits nichts mehr entgegenzusetzen. Nach der Einführung der Fließbandproduktion bei Pentacon ab 1965 übertrafen auch die bisher kränkelnden Produktionszahlen des Staatsbetriebes die der Ihagee AG i. V. Auch die japanische Konkurrenz errang mehr und mehr Erfolge auf dem umkämpften Markt und zog schließlich an den west- und ostdeutschen Herstellern vorbei.
Fehlende Kontinuität in der Betriebsleitung: von 1945 bis 1968 hatte die Ihagee 15 Betriebsleiter.
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